Rezensionen

 




AUS EINEM STRICH DIE LANDSCHAFT



In einem perfekten Bild wird selbst das Unendliche durch Reduktion vorstellbar, in einem perfekten Essay erklärt sich ein ganzes Land aus einem Strich.

Selten ist das Burgenland auch für Außenstehende so knapp und „auf den Strich gebracht“ erklärt worden wie in den vier Essays von Karin Ivancsics, worin Kindheit, Landschaft, Steinbildhauerei und das Geheimnis von den Grenzen zur Sprache gebracht werden.


Ein Spaziergang über den Hügeln von St. Margarethen wird allmählich zu einer Erkundung der Tiefenschichten des Landes. In den Steinbrüchen hat der Bildhauer Karl Prantl seine Skulpturen herausgeschlagen unter dem Motto, alle Augenfarben sind in diesem Stein. Die Erzählerin blendet zurück in die Kindheit, als sie zum ersten Mal mit den Grundelementen der Wahrnehmung konfrontiert wird. „Im Sommer verbuscht das Gelände, die Gräser verfilzen.“ (9) Mit den Grunderfahrungen der Kindheit lassen sich allmählich die Kunstwerke erschließen, hinter den Kunstwerken tut sich eine Tiefe auf, die ins Politische mündet. „Der Stein ist das Vehikel“ fasst Karl Prantl den Vorgang zusammen.


Um das Sehen bis an die Grenzen und darüber hinaus geht es im Essay „Aus der Ecke“. Darin wird die burgenländische Kindheitsecke als abgegrenzter Raum am Eisernen Vorhang beschrieben, der eine eigene Kreativität entwickelt hat. Die Kinder haben naturgemäß nie begriffen, warum das eine Gras am Zaun ein ungarisches und das andere ein österreichisches gewesen ist. Grenzen funktionieren nämlich erst, wenn man sie selbst durch den eigenen Kopf zieht. Deshalb ist das sogenannte „Talkesselbewohnersyndrom“ nicht nur in den Alpen weit verbreitet, weil sich die Menschen gerne selbst Zügel anlegen, an denen sie herumgeführt werden. Die einzige Grenze, die die Erzählerin akzeptiert, ist die Haut.


„Blau aus der Ferne“ erzählt sehnsuchtsvoll von der Auflösung der Schwerkraft durch Reisen. Als das Kind mit dem Fuhrunternehmen der Oma durch die halbe Welt fährt, werden Namen wie Gesäuse, Zeltweg oder Knittelfeld plötzlich vom Blues grenzenloser Freiheit erhellt. Das Burgenland zeigt sich als seltene Form des Katapults, womit Pendler, Urlauber, Auswanderer und Vögel in die ganze Welt geschleudert werden.


„Cäsar Siegfried Ida“ spielt auf den grotesken Umstand an, dass ein kroatischer Name ständig mit deutschen Alphabets-Ausdrücken gespickt werden muss, damit man etwa Ivan-csi-cs richtig schreibt. Die Identität entsteht durch selbstbewusstes Anwenden aller Sprachen, deren man habhaft werden kann.


Karin Ivancsics zeigt in diesen Essays das Land in all seinen Herausforderungen, der Titel verweist auf ein hoffnungsvolles Unterfangen, dass selbst aus einem gestrafften Strich sich eine Landschaft voller Geborgenheit entfalten lässt.


                                                           Helmuth Schönauer 01/11/15




Grenzgängerin - In vier literarischen Essays zeichnet Karin Ivancsics ein vielfältiges Bild des Burgenlandes von den 60er Jahren bis heute, ausgehend vom Bildhauerhaus Karl Prantls, über die Otto Muehl Kommune am Friedrichshof, ethnische Minderheiten und die eigene Kindheit und Jugend. Karin Ivancsics ist in Deutsch Jahrndorf (ungarisch: Németjárfalu, slowakisch: Nemecké Jarovce) im Dreiländereck von Österreich, Ungarn und der Slowakei aufgewachsenen. „Ich bin, wenn man so will, ein Grenzfall“, schreibt die Autorin, „aufgewachsen zwischen zweierlei Grenzen, rechterhand und linkerhand, je nachdem, wo ich mich befand, und wie auch immer ich mich drehte und wendete, ich hatte niemals das Gefühl den Rücken frei zu haben, das ist etwas Besonderes. In das Dorf meiner Kindheit konnte man hinein, aber nicht darüber hinaus, wollte man weiter, musste man umkehren.“

Das Überwinden von Grenzen und Begrenzungen, geographischer und geistiger Natur, ist der rote Faden, der durch diese vier Essays mäandert, die nicht nur ein Bild des Burgenlandes und seiner Bewohner zeichnen, sondern auch politische und gesellschaftliche Überlegungen anstellen zu Begriffen wie „das Fremde“, „das Hiesige“, zu Flüchtlingsströmen und Minderheiten, die ein fester Bestandteil des Burgenlandes sind. Ja, und dann ist auch immer diese Sehnsucht da. Diese Sehnsucht nach dem Fernen, dem Fremden, den Überraschungen, die hinter jeder Ecke lauern, die nur jene Menschen finden, die sich auf den Weg machen.

So sind diese Essays auch ein persönliches Dokument über die eigene Entwicklung von dem Mädchen, das sich nicht traute zu sagen, dass es kroatische Wurzeln hat, weil es bei manchen Schulkollegen nicht gut ankam, zu der Frau, die die halbe Welt bereiste, Schriftstellerin wurde und immer eine Verbundenheit mit jenem Landstrich bewahrte, der mit seinen Ebenen, die den Blick nicht einschränken, auch eine Art von Freiheit verheißt.


Patricia Brooks / BUCHKULTUR 164




In den beiden letzten Essays – obwohl alle vier Texte eher als eine Einheit gelesen werden sollten – wird u. a. auf die Frage der eigenen ethnischen Herkunft eingegangen und auf die frühere und zum Teil noch bestehende massive Diskriminierung der beiden nationalen Minderheiten im Burgenland – der Kroaten und der Roma. So haarsträubend es sich liest, dass sich das Mädchen Karin wegen ihres verdächtigen Familiennamens bis zu einem gewissen Alter schämen und ihn daher verstecken musste, noch um einiges schockierender sind die Interviews, die die Autorin nach den Bombenanschlägen in Oberwart 1995 mit der (ethnisch österreichischen) Bevölkerung führte und fein säuberlich aufzeichnete. Es geht beinahe ins Tragikomische, wie auch die etwas verbesserten Lebensbedingungen der Roma (richtige Häuser, saubere Gärten …) von Menschen, die hartnäckig an ihren Vorurteilen festhalten, sofort gegen die Volksgruppe verwendet werden („die haben für den Termin extra aufgeräumt“); in dieselbe Kategorie fällt auch die Geschichte des kroatischen Vaters der Autorin, erstens wegen seines Vornamens Adolf und zweitens wegen seiner guten Beamtenposition, die er trotz seiner bäuerlichen Herkunft errungen hat, da er als einziges von vielen Kindern seiner Familie ein katholisches Gymnasiums besuchen durfte. „Etwas passte nicht zusammen, etwas passte nicht mit uns.“ (S. 116)

„Aus einem Strich die Landschaft“ ist eine lohnende, anregende und auch ästhetisch ansprechende Lektüre; es sind Texte, die, von der Landschaft im äußersten Osten Österreichs ausgehend, ohne Eile und scheinbar ganz nebenbei wichtige Fragen der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart verhandeln und beispielhaft das Politische im Privaten zur Sprache bringen.


Jelena Dabic, Literaturhaus-Buchmagazin

 http://www.literaturhaus.at/index.php?id=11089




Erinnerungen sind wie Leitlinien in diesen vier Prosatexten von Karin Ivancsics. Die Selbstreflexion bringt sie zum Reflektieren über gängige gesellschaftliche oder politische Haltungen und Werte. Es ist ein Erzählen über das Aufwachsen im Burgenland, ein Nachdenken über ihre Wurzeln, über das Notwendigwerden der Entfernung und die Sehnsucht nach der Wiederkehr.

Poesie, Charme, Witz, Direktheit und Engagement sind die Ingredienzen dieses  geradlinigen, individuellen Burgenland-Bildes, sie zeichnet „aus einem Strich die Landschaft“.


(...) „Aus der Ecke. Überlegungen zu Grenzen“ ist in einer bestimmten Art

ein Augenöffnen, ein Wachrütteln. Wir finden hier einen anderen Ton, einen erklärenden Monolog vom Ich zum Du, in dem die Erinnerungen an die Kindheit in der Ecke schließlich aus der Ecke heraus führen. Die Situation in dem scharf  bewachten, engen Grenzraum macht feinfühlig, hellhörig. Eine Theorie wird zitiert,  nach der das Aufwachsen in Grenznähe„zum Übertritt, zum Hinüberschauen, Ausmalen und Phantasieren“ verführe. (...) Karin Ivancsics tastet Grenzen verschiedener Art ab, innere, äußere: der Körper und das Haus, der Blick und der Garten, die Haut und der Stacheldraht.  Auf eine Krankheit wird hingewiesen, „Borderline“, die auf das notwendige Abgrenzen vergisst, gestörte Verhältnisse zerstören äußere und innere Räume. Der kindliche Blick, der erinnert wird, findet eine Überprüfung, eine Erweiterung durch das Erwachsensein. Auch die Kommentierung der als Grenzüberschreitungen empfundenen Grenzwertigkeiten aktueller zeitgeistiger Strömungen zeigt die verschobene Perspektive des Blicks, der nicht nach vorn, sondern zurück geht. „Kein Fluchtweg in Sicht, aus einem Strich die Landschaft.“ Die Linie der Schrift zeichnet die Landschaft, sie imaginiert Räume und Grenzen, die Fluchten senken sich im befriedeten Territorium. (...)


Die Prosatexte sind eine Aufforderung über Wertigkeiten nachzudenken und ein Aufruf zur Wertschätzung von Menschen und ihrer Kultur, sei es der heimatlichen oder der fremden.


                                                                                Beatrice Simonsen



Seit mehr als 20 Jahren lebt Karin Ivancsics bereits als freie Schriftstellerin. Dieser Mut zur Unabhängigkeit spiegelt sich auch in ihrer Literatur wieder. Die Autorin erzählt aus dem echten Leben und bildet Gesellschaft ab. Ihre vier Abhandlungen in „Aus einem Strich die Landschaft“ sind aus einem Guss und mit großer Erzähllust geschrieben, ihr Blickwinkel ist geprägt von Neugierde, Reiselust und von einer feministischen Weltsicht.

ORF Burgenland Heute, 7.12.2015



RESTPLATZBÖRSE


In ihrem Roman entwickelt Ivancsics ein voller Witz und Ironie erzähltes Patrnerbörse-Kammerspiel zu einem Gesellschaftsporträt von hohem stilistischem Reiz. Restplatzbörse besticht durch die Vielfalt der Erzählperspektiven.

Günter Milly


zwischen hotel und flugzeug, nach der abreise, ergibt sich für eine kleine herde von all-inclusive-touristen ein unerwarteter aufenthalt, die maschine wurde stoniert und die gruppe muss in einem hotel am flughafen auf die weiterreise warten. eine ideale zwischenzeit-situation für die autorin, die sie ja konstruiert hat, um ihr figuren-ensemble in aller erzähl-ruhe präsentieren zu können.

sehr lapidar und sarkastisch, aber nicht hämisch, enwirft sie mit ihren menschen im hotel ein puzzle touristischen alltags, wie er überall auf der welt zwischen den wendekreisen des krebses und des steinbocks stattfindet, mit der einschränkung, dass sie ihre personen aus dem österreischischen und deutschen fundus schöpft.

zufällig zusammengewürfelt in doppelzimmern, nach männern und frauen getrennt, purzeln die (lebens)erinnerungen in die gegenwart, päsens- und imperfekt-wellen laufen ineinander, wobei natürlich die allgemeinen und die spezifischen urlubserinnerungen noch besonders deutlich vorhenden sind.

nicht mehr jung und noch nicht willens, sich als alt zu verstehen, bewegen sich diese menschen auf ihren reisen mental um keinen millimeter. sie bestehen aus lebensgeschichtlichen versatzstücken, psychologischen vorfabrikaten und erwartungen-wünschen-sehnsüchten, die allesamt dem standardrepertoire der unterhaltungsmedien entstammen. nicht wirklich unglücklich und nicht wirklich befriedigt, reproduziert sich ihnen eine mischung aus vorabendserie, bildungsbürgerlichen reflexen und wellness-körperbewusstsein in enzyklopädischer dichte.

musterhaft passen sie in die par muster des touristischen angebots, in die zeit-stücke aus zwei bis drei wochen, mal tauchen, mal ausflüge machen, mal mit den animateuren, ml ohne sie, in kurzen, kontrollierten ausbrüchen aus den beschützten kavernen der resorthotels.

musterhaft auch, wie Karin Ivancsics die listen der seelischen und sozialen biografien ihren figuren zuornet, mehr österreichische als deutsche profile schafft, nicht unähnlich der geschichten-melange im österreichischen fernsehen. fred und john/johann, birte, herbert, erich und veronika empfinden sich in der sprache  der werbung, in den beschreibungsformeln der illustrierten, der talk-shows und lebenshilfe-programme. sie erleben sich als die, von denen in den berichten, die sie ständig konsumieren, gesprochen wird, und entwerfen sich – je nach ihren genre-vorlieben – als mal begeisterte, mal widerstrebende  mitspieler im lebenslang sie spiegelnden entertainment-alltag.

es ist ein alltag, der aus einer lateneten unzufriedenheit  besteht, die sich aber nicht verändern soll; es fehlt zwar nicht nur an sex, sondern auch an liebe, aber nicht so sehr, die einsamkeit mag lästig sein, die alternativen dazu aber sind es noch viel mehr.

es ist schon ein glück für den leser, dass Karin Ivancsics völlig unromantisch ihr puzzle-spiel voranschreibt. so ist „Restplatzbörse“ ein gut zu lesender roman von einem aufenthalt im touristischen alltag geworden, den keiner und keine so erleben mag, wie er oder sie ihn vielleicht dann doch erlebt haben wollte, später dann, wenn die erinnerungsreste auf gewünschte weise für die wirklichkeit einspringen müssen – und wieder ein urlaub am meer gebucht wird.

Herbert J. Wimmer, KOLIK54



Karin Ivancsics beschreibt skurrile Typen und missgelaunte Reisende, Träumer und unglücklich Liebende, aber auch die allgegenwärtigen Klischees. Mit liebenswerter Ironie porträtiert sie die Menschen in ihrem meist zum Scheitern verurteilten Bemühen, auf Reisen das Spießige und den Alltag hinter sich zu lassen.

Tiempo Nuevo


      

Das Leben ist eine Restplatzbörse, so könnte man im Groben Karin Ivancsics' Roman auf den Punkt bringen. Das subsummiert aber auch die Tatsache, dass die wirklich guten Angebote bereits ausgebucht sind und für die ProtagonistInnen in diesem Roman nur die Restplätze übrig bleiben. Da heißt es zuzugreifen, denn auch hier gibt es bessere und schlechtere Angebote. Das gilt für das Leben an sich, für Beziehungen und für Animationen, die in erster Linie von Hormonen gelenkt werden.


Die Figuren sind oftmals klischeehaft belegt, (...) so überkommen die Heldinnen und Helden in Ivancsics' Roman auch vordergründig wirken, so stecken dahinter Individuen, und die Autorin macht auch keinen großen Hehl daraus, dass sie sehr wohl Sympathien für die ProtagonistInnen hegt. Denn auch hier gibt es ein Quäntchen Glück, das bekanntlich manches Mal mehr bewirkt als die großen Würfe, die das Leben üblicherweise vorenthält.


Karin Ivancsics ist eine Reisende und lässt uns an ihren Beobachtungen teilhaben, die vor allem auf die Menschen gerichtet sind.


(Rudolf Kraus, in: Podium Nr. 163/164)


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Der Albtraum eines jeden Urlaubers: Der Rückflieger wird storniert. Termine und Verabredungen platzen. Schlimmer noch: Man bringt Touristen in einem Hotel am Flughafen unter – mit trostlosem Blick auf die Start- und Landebahnen. Wilde Spekulationen unter den Urlaubern machen die Runde. Zudem zermürbt die Ungewissheit, wie es weitergehen soll.


(...) Der Text zeichnet sich nicht über eine stringente Handlung aus, sondern vielmehr durch lose Spotlight-Szenen. Im Fokus werden die letzten zwei Wochen eines Urlaubs-Camps erzählt – ergänzt durch persönliche Erlebnisse der Figuren. Daneben lässt Ivancsics auch Kapitel zu, die Werbung für solch einen Club machen.


Verschiedenste Stimmen prasseln im Lauf der Handlung auf den Leser ein. Und das aus verschiedenen Erzählperspektiven. So gibt es eine Ich-Erzählerin, die die Geschichte trägt. Dazwischen Kapitel in der dritten Person oder in der Du-Perspektive. Die meisten Urlauber sind wegen des Tauchangebots im Club, der sich in einem nicht genannten warmen Land befindet. Es scheint ein abgeschottetes Urlaubsresort zu sein. Die Reisenden sind dort, um „unter sich“ Spaß zu haben und das eine oder andere Sex-Abenteuer zu suchen. Dafür sorgt auch meist der Tauchlehrer und Sunny-Boy Ulli.


Geschiedene, Gebeutelte, Träumer, Glückssucher und Abenteurer – das ist in etwa das Figuren-Spektrum, das uns Ivancsics vorstellt. Sie wirken trotz guter Jobs und Lebenserfahrung orientierungslos. Lassen sich von Trugbildern leiten, wissen nicht, wie sie mit ihrem privaten Scherbenhaufen umgehen sollen. Der Urlaub soll sie auf andere Gedanken bringen. Doch am Ende müssen einige feststellen, dass sie keinen Deut weitergekommen sind.


Zudem weist uns die Autorin auf Ambivalentes hin: Beispielsweise durch Herbert, der am letzten Tag kurz vor der Abreise fehlt. Es stellt sich später heraus, dass er dem Club entflohen ist. Er fuhr mit einem einheimischen Fischerboot und genoss die einfache Arbeit der Fischer, ihre Freundlichkeit und das „Erfahren einer anderen Kultur“, was ihm im Club verwehrt worden war. Das Ambivalente besteht nun darin, dass Herbert sich einerseits vom Kollektiv-Urlaub emanzipiert, andererseits lediglich seiner verklärt-romantischen Sehnsucht nachgeht. Denn er ist nur Beobachter auf dem Boot. Ein interkultureller Austausch findet nicht statt. Auch hinterfragt er nicht, weshalb die Fischer arm sind oder weshalb der Wohlstand des Clubs nicht auf die Region übergeht. Groteskerweise wird von der Hotelanlage sogar davon abgeraten, Produkte von den Einheimischen zu kaufen. Ähnlich kritisch betrachtet etwa Hans Platzgumer diese Arroganz des Westens in seinem jüngst erschienen Roman „Trans-Maghreb“ (Rezension ebf. im Buchmagazin).


Ivancsics entlarvt in ihrem Text „Restplatzbörse“ sowohl die Illusion der Werbung als auch die inneren Illusionen bzw. verkitschten Sehnsüchte. In nüchterner und lakonischer Sprache analysiert sie die Situation und verleiht zugleich dem Text eine subtil-ironische Note.


Ein desillusionierendes Buch, das ungelöste Widersprüchlichkeiten aufzeigt und Oberflächlichkeiten vergegenwärtigt. – Genau der richtige Text für die anstehende Urlaubszeit!


(Angelo Algieri, Rezension im Buchmagazin des Literaturhaus Wien, 28. Juni 2012)



ANNA  HAT  ZWEI TAGE


Jahrzehnte haben uns Lesende gelehrt, daß bedeutende, außergewöhnliche zeitgenössische Literatur nicht Monopol einer Bundeshauptstadt sein muß. Eine Marlen Haushofer, ein Peter Handke, ein Josef Winkler, eine Elfriede Jelinek sind den Weg aus Landesstädtchen in diese Bedeutsamkeit gegangen. Die große frühverstorbene Dichterin und heute im „versäumten“ 80. Geburtsjahr Kultfigur gewordene Mattersburgerin Hertha Kräftner aber hatte einer anderen Burgenländerin in deren frühen Fühl- und Schreibjahren den Weg gewiesen, wie ein Bekenntnis dieser heute bedeutenden zeitkritischen und menschenbezogenen Erzählerin besagt, die nicht umsonst schon in erfreulich frühen Jahren mit dem Hertha-Kräftner-Preis ausgezeichnet worden war: Karin Ivancsics, bei aller Wort- und Denkschärfe keiner eitlen Sprachartistik folgend sondern aus sozialer Berufung heraus dem unterprivilegierten Menschen Stimme gebend – dem Ausgebeuteten, dem Armen, Wohnungs- und Arbeitslosen, dem Einsamen und besonders der Frau in den Fängen von Gewalt, Unverstand, Unterschätzung, erschöpfendem Egoismus, Abbau der Selbstverwirklichung und – oft in bürgerlichem Streß und Mief – einem Untergang aller Lebensfreude. In dem vorliegenden Erzählband mobilisiert durchwegs eine besondere Facette möglichen weiblichen Schicksals das Mitgefühl von Autorin und Lesern: die Frau als Gebärerin. Da ist die junge schwangere Liebende, im teils glücklichen, teil ängstlichen Warten auf das Kommende mehr und mehr von dem Gefühl der Geburt als Unfaßbarem überwältigt, bis die Leidenschaft sexueller Liebe zum Partner der Magie einer vorgestellten Unio mystica mit dem Baby weicht, einer Phantasie, die den Alltagsverstand der Frau hemmt, in den Seelen von Kind und Mutter die natürliche psychische Abnabelung verhindert und letztlich zur gemeinsamen tödlichen Himmelfahrt mit dem Kind führt. Da ist die not-, nein gattengedrungen verspießerte Anna, Mutter mehrerer ausnahmsweise heute mit dem Mann zu den Großeltern verreister Kinder, an einem von zwei freien Tagen, an denen sie mangels üblicher Putz- und Kochpflicht mit sich nichts anzufangen weiß, außer sich an fernere Zeiten mit Liebe und Fernreise zu erinnern und „es war doch alles einmal ganz anders“ und festzustellen, daß sie vor kurzem ihr hübsches Gesicht verloren hatte. Und da ist die ewig verschlossene Nachbarin, außer zu einem „Hallo“ zu keinen Worten zu bewegen, extravagant gekleidet und geschminkt, eines Tages gibt ihr Halbbruder ihr Geheimnis preis: sie ist in Kindesjahren von ihrem Vater sexuell belästigt worden und jetzt unbemerkt Alkoholikerin, weil sie ohne lange Vorbereitung mittels dieser Droge mit keinem Mann mehr Verkehr haben kann. Und sie haßt heute erbarmungslos ihre krebskranke Mutter, weil sich die immer unwissend gestellt hat. Und da ist schließlich noch eine greise tyrannische Oma, die beglückt und neckisch ihrer Tochter verlautbart, daß ihre Enkelin jetzt mit einem Mann zusammenzieht und von ihm schwanger ist. Bei so viel als Frauenelend enthülltem „Mutterglück“, das wohl auch so manchen Lesermann betroffen machen kann, fallen mir zum Abschluß zwei geschlechtsunabhängige Sätze ein: Homo homini lupus (Ein Mensch ist dem andern ein Wolf; lateinisches Sprichwort) und (aus Büchners „Woyzeck“) Der Mensch ist ein Abgrund.

Andreas Okopenko

 

Mit dem Mutterglück ist es so eine Sache, knapp am Kitsch angesiedelt zieht dieser Begriff seine Heldinnen oft gnadenlos in die Tiefe, sobald sich diese auf das Mutterglück berufen.

Als gevifte Erzählerin schickt Karin Ivancsics ihre Protagonistinnen jeweils in eine Grenzsituation, dabei ist vielleicht der Status der Mutter insgesamt eine Grenzsituation.

In der Erzählung „Indigo' ist zu Beginn das Leben blau und schön und wunderbar. Im vollen Glücksrausch zu Sylvester wird die Ich-Erzählerin schwanger, die dynamischen Meeresfluten in Nizza haben offensichtlich ihren Lebensplan über den Haufen geworfen. Nach der Geburt des Kindes wenden sich alle bisherigen Freunde ab, die Un-Karriere als Alleinerzieherin steht ins Haus, zumal sich auch die Gesellschaft mit ihren schönen Verbal-Angeboten im entscheidenden Augenblick zurückzieht. Das fröhliche Indigo zu Beginn der Erzählung geht in die Düsternis eines blauen Endes über, das Kind ertrinkt am Teich und die Mutter wird Tabletten nehmen, um diesem Spuk ein Ende zu bereiten.

In der titelstiftenden Erzählung hat Anna endlich zwei Tage, um an sich selbst das eigene Leben zu spüren. Die Familienmitglieder sind außer Haus, und plötzlich ist die Zeit so dicht, dass Anna gar nicht weiß, wo mit dem Glücklich-Sein beginnen. Aber da kommt unverhofft ihre Freundin und reißt sie mit Erinnerungen an frühere Zeiten aus dem Träumen. Diese Beziehungsgeschichten haben nämlich die seltsame Kraft, alles zu überwuchern und zu ersticken. Vermutlich werden auch weiterhin nur die so genannten roten Tage etwas Luft bringen, jene Tage, an denen die Menstruation einsetzt und an denen Anna länger im Bett liegen bleiben darf.

Schlüsselbund ist jenes Verhältnis überschrieben, das sich zwischen der Ich-Erzählerin und ihrer Nachbarin Dine entwickelt. Diese Dine ist eine flotte Frau, die alles im Griff hat, ihre Zuneigung ist manchmal von verblüffender Heftigkeit. Aber dann zerrinnt die Maske, Dine ist in Wirklichkeit eine gut getarnte Alkoholikerin und alles Flotte ist Staffage.

Im Text Mutterglück treffen ungewollt Frauen aus verschiedenen Generationen aufeinander. Die Erzählerin hat ihre Mutter zu Gast, diese nervt an allen Ecken und Enden, versteht sich aber mit ihrer Enkelin. Und wie zum Hohn dieser seltsamen Verbindungen stellt sich heraus, dass die Erzählerin selbst gerade dabei ist, Oma zu werden. Mehr braucht es nicht! Da ist das Mutterglück schlagartig fertig.

Karin Ivancsics erzählt genau und unbarmherzig, den Figuren bleibt nichts erspart, alles was hohl klingt, wird abgeklopft und als hohl entlarvt. Als Leser misstraut man den Glücksentwürfen von Familie und Mutterglück in anschwellendem Ausmaß. Und der Blick von den Erzählungen zur Realität fällt immer kürzer aus, denn diese Erzählungen sind die pure Realität.

Helmut Schönauer

 



SÜSS ODER SCHARF


Dass sich die Gegenwartsliteratur (nicht nur in Österreich) kritisch mit den Veränderungen der Gesellschaft auseinander setzt, dürfte sich inzwischen selbst unter den weniger Belesenen herumgesprochen haben. Karin Ivancsics' Erzählung Süß oder scharf fällt in diese Kategorie von Texten und erinnert uns einmal mehr daran, was sich in dem einst als Insel der Seligen gepriesenen Land verändert hat. Wien als Schauplatz der Handlung erweist sich dabei als Spiegel und Paradigma eines im Umbruch befindlichen Europas. Gängige Embleme wie Fremdenfeindlichkeit, Beschäftigungslosigkeit, Digitalisierung und Ich-Inszenierung werden von der Autorin geschickt eingesetzt, um die Befindlichkeit der Generation Golf aufs Korn zu nehmen.

Im Mittelpunkt ihrer Satire steht die jugendlich-burschikose Dreißigerin Iris, die so ganz und gar nicht zu ihren erfolgreichen, oberflächlichen Freunden passen will: "Keine Ersparnisse, kein Auto, keinen Job, keinen Freund, keine Kinder, alles, was ich mein eigen nennen darf, ist eine Mietwohnung, aus der sie mich nicht so schnell hinauswerfen können." Es ist der Ironie der Ereignisse zuzuschreiben, dass sie sich eines Tages vor der verschlossenen Wohnungstür befindet, weil sie sich ausgesperrt hat. Da der Schlüsseldienst auf sich warten lässt, ist sie gezwungen, sich einen Tag und eine Nacht als Obdachlose um die Ohren zu schlagen. Auf Irrwegen durch die Wiener Lokal- und Partyszene landet sie schließlich bei der Schauspielerin Marianne, die sie bei sich aufnimmt. Hinter der rätselhaften Person verbirgt sich eine Frau mit Vergangenheit, von der sich Iris fasziniert zeigt. So zeichnet sich am Ende eines an Wechselfällen und Einsichten reichen Tages schließlich die Möglichkeit einer tiefen Freundschaft ab.

Süss oder scharf figuriert als moderne Version von Eichendorffs Aus dem Leben eines Taugenichts, vermag indessen trotz der heiteren Inszenierung nicht den ernsten Grundton zu verbergen. Das romantische Ideal freien, ungezwungenen Wanderlebens mutiert in Ivancsics' Prosa zu einem gesellschaftlichen Versteckspiel, in dem die Antiheldin bald unter Rechtfertigungsdruck gerät. Iris gelingt es nämlich nicht, den tüchtigen, beziehungswilligen Yuppies aus dem Bekanntenkreis ihren völligen Mangel an Ambitionen plausibel zu machen. Statt am kollektiven Wettlauf um Statussymbole und Liebe teilzunehmen, begnügt sie sich damit, in den Tag hineinzuträumen, der trotz knapper Kasse Behaglichkeit und Zufriedenheit verspricht.

Wo die Ideale und Werte des Kapitalismus bis zum Überdruss eingeschärft worden sind und die Opfer, die es zu bringen gilt, immer größer werden, macht sich freilich Unbehagen breit. Begriffe wie "downshifting" oder "neue Bescheidenheit" bezeichnen (gewiss nicht ohne einen Anflug von Zynismus) jenen Zustand, in dem Iris die passende Lebensform gefunden hat. Das offene Ende der Geschichte unterstreicht dabei nicht das Scheitern der Protagonistin, sondern vielmehr den Umstand, dass auch die Literatur keine Patentrezepte zur Daseinsbewältigung zu bieten hat. Dies gilt auch für Karin Ivancsics' jüngste Buchpublikation, der indessen das Verdienst zukommt, scharfsinnig und amüsant auf den Zeitgeist zu reagieren. Man braucht übrigens kein Sozialschmarotzer zu sein, um sich in Süß oder scharf wieder zu erkennen.

Walter Wagner, Literaturhaus Wien



Taugenichtsin ist eine schelmische Berufsbezeichnung für eine junge arbeitslose Frau, die aber der Gesellschaft nicht die Zunge zeigt, sondern ein nettes Gesicht macht, wenn „Pfoti geben“ angesagt ist.


Iris hat einmal im Monat einen Termin beim Sozialamt und erledigt diese Tour routiniert, indem sie genau so viele Gefühle zulässt wie erwartet werden, nämlich keine. Als Belohnung gibt es nach dem Amt immer eine kleine Wurst und die schöne Frage, süß oder scharf. Letztlich geht es im Leben nämlich um den Senf, sonst gar nichts.

Aber dieses Mal ist alles etwas anders, Iris hat in einer Kunstaktion das Klopapier aufgebraucht und will sich noch schnell welches holen. Da sperrt sie sich aus der Wohnung aus und ist gezwungen, eine Nacht lang die Stadt mit den Augen einer Taugenichtsin zu erleben.

Der Aufsperrdienst lässt auf sich warten, und die Heldin zieht von einer Vernissage zur nächsten, von einer Künstler WG in die Fragmente eines Ateliers, sie besucht Künstlerstammtische an versoffenen Diskutierecken und bringt eine Nacht mit scharfer Analyse hinter sich, indem sie diese putzigen Rituale ungefiltert auf sich wirken lässt.

Es gibt viel Erlebnis-Trash im Land, und auch abseits der so genannten Seitenblicke-Gesellschaft ist das Seichte gerne zu Hause, auch wenn es sich intellektuell und Szene authentisch tarnt.

Alleinerziehende Lebenskünstler erzählen ungefragt von ihren Kindern und Partnern, die Träume lösen sich während der Gespräche in weinerliches Wohlgefallen auf, eine ganze Generation scheint Nacht für Nacht den Sinn des Lebens zu verlieren, während sie das Tagwerk als vergeblich besingt.

Die ausgesperrte Heldin ist plötzlich im Auge des Zeitgeistes, der sich als ein gigantisches Biedermeier-Revival herausstellt. Sie surft durch die Kleinodien des Alltags, die Devotionalien von kleinen Kochnischen, durch Rezepte und hausbackene Happenings. Jetzt ist sie wirklich eine Taugenichtsin und schreitet durch eine kitschige Epoche, wie es der biedermeierliche Taugenichts von Joseph von Eichendorff einst getan hat.

Karin Ivancsics „Senf-Novelle“ hat durchaus das Zeug, neben dem historischen Taugenichts als schulische Pflichtlektüre einer etwas verklemmten Generation einzugehen. Trashig, trendig, verraucht, nacht-rot und hektisch pingelig fließen jene Ereignisse ihrem Höhepunkt zu, der Nacht für Nacht darin besteht, das Licht auszumachen und die zusammen gekarrten Erlebnisse unters Bett zu schieben. Eine sehr süffisant-witzige Geschichte!


Helmuth Schönauer



WANDA WARTET


Den Rahmen gibt ein Warteraum in einer Abtreibungsklinik. Karin Ivancsics zeigt die Sprachlosigkeit und die Verstümmelungen und Wunden der Frauen, die durch das Zu-Reden und Ab-Handeln ihrer Geschichte zugefügt werden. Das Tabu ihrer privaten Geschichte, das Brüchigwerden ihrer Identitäten durch die Versprachlichung und die Peinlichkeit der Beschriftung ziehen sich als gemeinsamer Faden durch die Collage. Die Komposition der Beschreibung ist durch verschiedene Stilebenen strukturiert: vom Protokollieren der bloßen Sprachlosigkeit über ohnmächtige Wutausbrüche und sehr leise, poetische Passagen bis zur bewussten Mutmaßung und Reflexion über die Rolle von Täter und Opfer.

Jürgen Roth



Bei einem Triptychon denkt der gelernte Kunstbetrachter meist an einen Altar, bei dem durch Ein- und Ausschwenken der Seitenflügel die Heilsgeschichte verhüllt oder ausgebreitet wird. Auch K. Ivancsics´s Triptychon entspricht einem hohen Altar, allerdings ist die Heilsgeschichte eine Überlebensgeschichte von Frauen, die zur Abtreibung gezwungen sind, weil die Heilsgeschichte männlich ist. (...) Wanda wartet, aber sie ist nicht mehr hilflos und allein, die Leser haben sich ihrer angenommen!

Lesezeichen


"Wanda wartet", lauten Titel und erster Satz des neuen Prosabandes von Karin Ivancsics. Wanda wartet - zunächst einmal und überhaupt auf die Straßenbahn, doch schon mit den zwei Titelworten ist die Ambivalenz dieses Programms angesprochen, denn die prinzipiell positiv bewertete Umkehrung vom Passiven ins Initiative wird durch eine so wesentlich passive 'Handlung' wie das Warten ad absurdum geführt.

Und so bewegen sich Karin Ivancsics' Frauengestalten, moderne Stadtstreunerinnen, immer etwas zu verspielt und romantisch, um Freaks zu sein, immer etwas zu provokant und frech für bemitleidens- oder bewundernswerte Außenseiterinnen, an der Kippe zwischen Subversion und Anpassung.

Ivancsics' jüngste Buchveröffentlichung "Wanda wartet" nennt sich im Untertitel "Ein Triptychon". Dementsprechend begrenzen die Abschnitte "Der Stadtsaal" und "Die leere Kabine" den Hauptteil "Sieben", der, in Anspielung auf die Zahl der Todsünden, in zahlreichen kurzen Clips Lebensszenen von sieben Frauen beleuchtet, die eines gemeinsam haben, die Abtreibung, auf die sie gerade warten.

Diese Dreiteilung im Aufbau ist aber nicht der ganze Bezug zum Triptychon: In den 'Seitenflügeln' werden noch andere Zusammenhänge benannt. Im ersten Abschnitt gedenkt Wanda, das Grunge-Girlie, zeitgemäße weibliche Variante des Flaneurs, der 'Psyche' ihrer Mutter, des dreiteiligen Spiegelschrankes mit dem bezeichnenden Namen. Im dritten Teil wird zusätzlich die omnipräsente, flächendeckende Werbekampagne eines Wäschekonzerns vor Augen geführt, es ist die Rede von "farbiglüsternen Triptychonen von Frauen" (S. 134). So werden weibliche Eigen- und Fremdwahrnehmung, weibliche Selbst- und Fremdzurichtungen im privaten und im öffentlichen Raum mit dem dreiteiligen Altarbild assoziiert und denunziert.

Das Altarbild kommt nicht von ungefähr. Es drängen sich Fragen auf, was auf welchem Altar zu wessen Ehren geopfert wurde und wird. Zugleich führt das Bild vom Altar auf die heiklen Probleme gesellschaftlicher Moral und Doppelmoral hin, die Ivancsics immer wieder auch in minimalen Partikeln ihrer Texte in spielerischer Weise aufgreift. Das Phänomen Abtreibung im Zentrum dieses Textes, blasphemisch und kritisch, ist bekanntlich geradezu Inbegriff der Diskussion um vermeintliche Moral, um weibliche Selbstbestimmung, Macht und Ohnmacht. Mehrfach gebrochen wird der Text, der aus verschiedenen Perspektiven, mit verschiedenen Stimmen spricht, durch Gesetzestexte, "Pressespiegel" aus der Kronenzeitung oder TV-Shows wie "Vera", durch zeitliche Brechungen in quasi dokumentarischen Interviewsitzungen mit den betroffenen Frauen.

Sehr differenziert, nie gefühlsduselig und doch voll lakonischer Solidarität mit ihren Frauengestalten beschreibt die Autorin einzelne und sehr unterschiedliche, individuelle und doch auch typologische Biographiemomente, "Schicksale", wie es die Regenbogenpresse nennen würde, und bleibt dabei stets im wachen Blick auf das System, auf vordergründige und versteckte Zusammenhänge. "Christine ist schlecht. Sie hat kein schlechtes Gewissen" (S. 62), ist ein Beispiel für viele, in denen es der Autorin gelingt, Sprache subtil-subversiv einzusetzen. Ob der Frauenname im Nominativ, also als Subjekt zu lesen sei oder vielmehr als Dativobjekt, daran scheiden sich Blickwinkel und Bewertung, aber auch wieder 'aktiv' und 'passiv'.

Wanda streift durch eine Stadt, die an "AIDA"-Cafés und Fleischmarkt-Aufmärschen als Wien zu erkennen ist, streift durch die Einkaufsstraße mit "H&M", kauft Ramsch, verschickt in geradezu surreal aktionistischer Weise Luftpostbriefe, und sie streift durch Erinnerungen an Kindheitserlebnisse und -eindrücke, geprägt von Zärtlichkeit zwischen Mutter und Kind. Im Schlussteil, der zunächst das Motiv der Kabine aufgreift, die von der medizinischen wieder zur markttechnischen Umkleidekabine wird, wiederholen sich diese Erinnerungsmomente. Eine Szene zwischen zwei Fremden, zwischen Wanda und einer alten Frau im Kaffeehaus, wird zur flüchtigen, freundlichen Begegnung.

Auf die Frage, worauf man warte, gibt es die halbwitzige Zusatzfrage oder Antwort "auf bessere Zeiten". Wanda - trinkt auf bessere Zeiten, einen Cognac, nachdem sie eine großspurige, lustige und auch rührende Agenda, einen Merkzettel "Große Verhaltensanweisung und Maßregelung für mich selbst" (S. 154) für die Veränderungen in ihrem Leben geschrieben hat. Mit diesem ironisch-optimistischen Ton klingt das Buch aus. Ivancsics hat ein unsentimentales, kritisches, emphatisches Buch über mehr als ein ernstes Thema vorgelegt.

Petra Nachbaur

 
















WARTESCHLEIFE


Fünf Frauen sitzen im Warteraum einer Klinik und warten auf ihre Abreibung. Jede der Frauen lässt das Publikum wie durch ein Vergrößerungsglas in ihr Seelenleben schauen. Mit ihrem ersten Bühnenstück hat die Autorin keine „leichte Kost“ gewählt (...), es lebt vom Text, der vom Publikum absolute Konzentration verlangt und unter die Haut geht.

Kurier


Autorin K. Ivancsics hat in ihrem brisanten Stück neben der kunstvollen Verflechtung innerer Monologe zu spannendem Theater auch die politische Dimension nicht ausgespart: Den Frauenschicksalen werden Argumente der Abtreibungsgegner gegenüber gestellt, der Druck der Öffentlichkeit führt zur Eskalation. Sehenswert!

Gabriele Müller-Klomfar, Brigitte




AUFZEICHNUNGEN EINER BLUMENDIEBIN



"Wild rose" - das könnte auch ein Deckname für jene literarisch-floristische Kleptomanin sein, die da zeitgemäß dismembriert berichtet. (...) In ihrer floralen Reise um den Tag in 80 Welten hat sich Karin Ivancsics kein Blatt vor den Mund genommen: Sie erzählt offenherzig von berührenden Erlebnissen in der Fremde, von intimen erotischen Begebenheiten und scheut auch die Abgründe des Trivialen nicht. Das alles ist in fragmentarischen Beschreibungen und Erklärungen, Fragen und Feststellungen, Aphorismen und Apercus montiert, die durch harte Schnitte getrennt und durch zwei wiederkehrende Leitmotive miteinander verbunden sind: Pflanzen und Beziehungen. (...) "Die Aufzeichnungen einer Blumendiebin" sind also das glatte Gegenteil eines "Heiteren Herbariums" à la Waggerl: eine höchst eigenwillige Textcollage in freiem Rhythmus, eine literarische Botanisiertrommel, die querbeet Eindrücke aus dem Leben gesammelt und zur Sprache gebracht hat.

Klaus Taschwer, Der Falter



Aus ist es mit dem Anything-goes der sich neigenden Neunziger. Geboten wird Erlebnis-Lesen ohne Sicherheitsabstand zum Buch. (...) Ihre "Aufzeichnungen einer Blumendiebin" mit frechen Früchten und Blüten zu garnieren hat Karin Ivancsics in der Karibik gelernt. Ihr aktuelles und sexuelles Crossover der Kulturen schließt das der Geschlechter mit ein. Und das der Arten und Ordnungen, wie wir es uns hatten träumen lassen. - Hatten Sie schon Sex mit einer Orchidee?

VOGUE


Aufzeichnungen zu einem Verbrechen sind üblicherweise Raritäten, die aus der Zelle geschmuggelt werden, oder Justizirrtümer, die jemand aus der juristischen Mannschaft im Zuge seiner Erkrankung an Alzheimer zum besten gibt. Karin Ivancsics nimmt das furchtbare Verbrecherleben einer Blumendiebin zum Anlass, der verbrecherischen Struktur unserer Gesellschaft auf den Grund zu gehen. (...) Die Klugheit dieses Buches liegt darin, dass durch die Beschreibung eines scheinbar stillgelegten Mikrokosmos mit subversiven Mitteln letztlich der Makrokosmos unserer Gesellschaft neu aufgezeichnet wird.

Helmuth Schönauer, Tiroler Nachrichten


Karin Ivancsics treibt ihr doppelbödiges Spiel mit der Sehnsucht nach einer heilen Welt, poetisch in Worte gefasst und doch sich selbst nicht immer ganz ermst nehmend. (...) Intertextualität und Interkulturalität sind die Markenzeichen der Autorin.

S. Selzer, Pester Loyd, Budapest


Von brisanter Gefühlsstärke, scharfer Präzision und Heutigkeit und zugleich anmutigster und hochphantastischer Poesie.

Andreas Okopenko




Deppen & Dämonen - Dancing through the Human Zoo


Was ist über dieses kleine, hübsche Büchlein zu sagen? Und vor allem: Was ist über den Inhalt zu sagen, hundert Kurz- und Kürzesttexte, die ihre Einordnung in eine bestimmte Gattung recht erfolgreich verweigern? (...) Die Texte berufen sich auf persönliches Erleben oder auf Erzählungen, und die erzählten Begebenheiten oder Aussprüche sind dem vorgegebenen oder wirklichen Anlass - der Realität - entsprechend vielschichtig, abgründig oder auch einfältig. Wer dies zu schätzen vermag, wird sicherlich auch dem Humor von "Deppen & Dämonen" einiges abgewinnen können.

INN, Zeitschrift für Literatur


Eine genaue Bestandsaufnahme jener Augenblicke, wo sich das Seelenwohl entscheidet. Wut und Lust liegen immer ganz knapp beisammen.

BUCHKULTUR


Diese Miniaturen präsentieren insgesamt ironisch-humorige Verknappung, doppelbödige Wortspielereien ohne Umschweife, in zweifellos origineller Diktion.

Vorarlberger Nachrichten


Wo andere mühsam die alltägliche Sprache in Fasson und Flatterzeichen zwingen wollen, wird bei Ivancsics eine kleine literarisch-philosophische Betrachtung daraus.

LOG



DURST!


Karin Ivancsics´ Geschichten bannen ihre Leserschaft durch eine klare, oft provokante, aber auch poetische Sprache. Die Autorin scheut nicht, Dinge beim Namen zu nennen und steigert somit die Lebendigkeit und Unmittelbarkeit der Texte. Alles in allem ist dieser Band ein Zeugnis eigenständiger Erzählweise und Poesie.

Neue Wiener Bücherbriefe




Woher diese "Geschichten von Begehren und Sehnsucht" - so der Untertitel des Bandes - nun eigentlich stammen, ist leicht zu sagen: aus unmittelbarer Nähe nämlich, aus der Mördermeile unseres Lebens, die wir gar nicht so genau kennen wollen. Falls Literatur mit Erleben und Lebendigkeit zu tun hat, mit geglückten und perfekt verunglückten Gefühlen, dem Kleinen im Großen, dem nicht Alltäglichen im Alltäglichen - so wird dem Leser eine ganze Menge davon begegnen zwischen den Deckeln dieses Buches. (...) Ivancsics ist respektlos gegenüber allen gängigen Strömungen und Autorenklischees: Die Sprache dient ihr einzig als Fahrzeug - und genau in der ungebrochenen Ökonomie, im verblüffenden Klartext liegen letztlich die Intelligenz, die sich niemals spektakulär gebärdende erzählerische Kraft und auch die unverstellte Erotik dieser Geschichten begründet.

Hans M. Krydl




PANIK


Vordergründig handelt "Panik" von der etwa 40jährigen Journalistin Amanda und dem 20 Jahre alten Alfred, einem verwirrten, jungen Mann, der eine Reihe von seltsamen Ereignissen auslöst. Aber in Wahrheit geht´s um Zensur, Angst, Fremdenhass. Post-Yuppies, brutale Skinheads, eine halb-intellektuelle und völlig kraftlose Szene-Schickeria, und die "Love Pirates", eine neue Jugendsekte. Aus der Liebesgeschichte wird - wie es sich gehört - natürlich nichts. Und dass das alles so sein muss, das erzeugt beim Leser dieser beklemmend visionären Geschichte die leise Panik, die dieses Buch so lesenswert macht.

Brigitte



Bücher über die Szene zu schreiben, in denen Skins, Konsis und sonstige Gruppen mit der ihnen eigenen Sprache dargestellt werden, ist im deutschsprachigen Raum schwierig. Es gibt eigentlich keine Tradition. Das Porträt einer Gesellschaft, die in einer Sackgasse noch immer glaubt, am Weg des Fortschritts zu sein, gelingt Karin Ivancsics. Starke Ausdrücke, die, von einem männlichen Kollegen gebraucht, wohl sexistisch zu deuten wären, lassen hoffen, dass nach Jahren der Emanzipation eine Sprache entwickelt wird, die sagt, was sie meint.

Die Furche



Karin Ivancsics versucht in "Panik" die logischen Konsequenzen von Fremdenhass, Sozialdarwinismus und religiösem Fundamentalismus zu Ende zu denken. Das gelingt mit beklemmender Glaubhaftigkeit und ist gekonnt erzählt.

Der Standard




Mit der charakteristischen Wiener Verachtung für Guten Benimm und Guten Geschmack, dafür unverschnörkelt, diskursiv und illusionslos, schreibt die Autorin über Liebe, Sexualität und eine Gesellschaft, in der jene einstmals zarten, warmen Gefilde nun nicht mehr anders als in einer neongrünen Kälte sich malen lassen.

Wolfgang Schlüter, Der Rabe rät






FRÜHSTÜCKE



Höchst lebendige, amüsante Kurzgeschichten.

Ernst Jandl


Skurriles, Böses und Tragisches vermischt sich zu einer leicht surrealen Sicht des Alltags. Eine fernsehsüchtige Frau verkommt zu einer vegetabilen Existenz, ein potentieller Heiratskandidat wird auf grausig-gemütliche Weise zu Tode gefüttert, ein Säugling entwickelt sich zum Vampir, und auch ansonsten geht es ziemlich kannibalisch zu. Bloß, dass es diesmal die Frauen sind, die zum Küchenmesser greifen.

Der Standard


Überraschende, wüste, räuberische Essensgeschichten über die herrschenden Beziehungen.

MOZ


Das Frühstück als Quelle für erotische Spiele, Verbrechen und Alltagsgrotesken seziert Karin Ivancsics in ihrem schrulligen Kurzgeschichtenband "Frühstücke". Ein passendes Geschenk für Liebhaber und solche, die es niemals werden sollten.

Wienerin




 

Anna hat zwei Tage

Erzählungen

21/13 cm, 93 Seiten

13 € / 22 SFR

Bibliothek der Provinz,

Weitra 2008

ISBN 978-3-85252-884-7

Restplatzbörse

Roman

19/12 cm, 154 Seiten

12 € / 20 SFR

Bibliothek der Provinz,

Weitra 2011

ISBN 978-3-99028-011-9

Wanda wartet - Ein Triptychon. Prosa. Ritter Verlag, Klagenfurt - Wien 1999

ISBN 3-85415-244-2

vergriffen, Restexemplare über die Autorin erhältich

Warteschleife, Theaterstück, 2002 , aufgeführt im kosmos.frauenraum, Wien

Süß oder scharf - Ein Tag im Leben einer Taugenichtsin. Novelle.


21/15 cm, 144 Seiten,18 €

Bibliothek der Provinz,

Weitra 2005

ISBN 3-85252-675-2

Durst! Kurzgeschichten. Wiener Frauenverlag, Wien 1995

(vergriffen)

Frühstücke, Essensgeschichten. Wiener Frauenverlag, Wien 1989

152 Seiten

(vergriffen)

Aufzeichnungen einer Blumendiebin. Ritter Verlag, Klagenfurt - Wien 1996

ISBN 3-85415-196-9

vergriffen, Restexemplare über die Autorin erhältich

© Markus Morianz

vergriffen, Restexemplare über die Autorin erhältich

Aus einem Strich die Landschaft

Essays

Brosch., 152 Seiten,18 €

Edition Lex Liszt, 2015

ISBN 978-3-99016-089-3

Pressestimmen/Reaktionen/Kritiken  (Auswahl)

DIE GASTGEBERIN

Die Schriftstellerin Karin Ivancsics - eine gebürtige Burgenländerin - gehört zu jenen, die sagen: Man sollte jeden Tag ein bissl sterben üben. Ihr aktueller Roman ist eine gute Gelegenheit, mit dem Verdrängen aufzuhören. Er handelt von einer Frau, die gern Lieder von Prince hört und die Tür immer einen Spalt offen lässt. Denn dann klopfen Verstorbene an und treten ein und führen sie "da oben oder sonstwo, unter uns, neben dir und mir" in ihre Gesellschaft ein. Ist aber nicht ganz ungefährlich. Man kann sich verirren. Das will man ja nicht glauben, aber: Eine Geschichte wie "Die Gastgeberin" tut gut. -Peter Pisa, Kurier, 20. 1. 2019


Eine Gastgeberin pflegt in ihrem Salon außergewöhnliche Kontakte. Ihr Haus steht offen für jene, die wir so gerne aus unserem Alltag verdrängen, die Toten. Diese Totenflüsterin berichtet von anregenden Gesprächen, gibt Anekdoten zum Besten und verirrt sich dabei beinahe in ihrer bizarren Gesellschaft. Karin Ivancsics’ Roman pflegt einen außergewöhnlich erfrischenden und behänden Umgang mit den Verstorbenen. Michaela Frühstück, ORF, Dezember 2018


„Die Gastgeberin“, das aktuelle Buch von Karin Ivancsics, ist fesselnde Lektüre, wenn auch nicht gerade „Bettlektüre". Es kann sein, dass es Sie ungewollt wach hält, so nah geht die Autorin an die Grenzen: Mutig stellt sie die Frage nach dem Leben und dem Loslassen, mutig wie immer ist diese Autorin in ihrem Anspruch, tiefer nachzufragen, den (Lebens)fragen auf den Grund zu gehen. So reißt es die Leser_innen hin und her wie die Gastgeberin selbst, die sich den spannenden Geschichten der Untoten hingibt und ganz nah am Abgrund wandelt. Aber Achtung, ein Umschwung lässt sich erahnen und der Weckruf lautet: Viva la vida!

 - Beatrice Simonsen

DIE GASTGEBERIN, 

Roman, 160 Seiten, € 18,-- 

Verlag Bibliothek der Provinz, 2018

ISBN 978-3-99028-770-5

Sie ist Künstlerin, lebt alleine, unterrichtet tagsüber in der Volkshochschule Kurse in Malerei und nachts ist sie in ihrer Wohnung Gastgeberin. Die Besucher ihres Salons kommen aus aller Welt, Freunde und Fremde, Alte und Junge. Bei diesen Treffen wird lebhaft diskutiert und philosophiert. So unterschiedlich die Gäste von ihrer Herkunft und ihren Ansichten auch sind, eines haben sie alle gemeinsam: sie sind tot. Begonnen hat es mit Elsa, der Freundin aus der Kindheit, die fünfzehnjährig an Leukämie verstorben ist. Elsa war die Seelenverwandte, mit der die junge Gastgeberin eine schöne, wilde und freie Kindheit am Land erlebt hat. Sie sucht jene Orte auf, an denen sie früher mit Elsa zusammen war, denkt an die Freundin, erinnert Gemeinsamkeiten und spricht mit ihr. Und plötzlich ist Elsa wieder da und nimmt fast wie früher am Leben der Gastgeberin teil. Sie tauscht Gedanken mit ihr aus, gibt ihr Ratschläge und bringt später auch andere Besucher mit. So beginnt ein reges Salonleben. Die Gäste sprechen über Gott und die Welt, über Kunst und Ekstase, persönliche Versäumnisse, postmortalen Ruhm und die Vermarktung toter KünstlerInnen. Die Gastgeberin erfreut sich an ihren Besuchern, aber da die Nächte lang sind, schläft sie zu wenig und ist am Tag müde. Sie vergisst zu essen und ist zu erschöpft, um aus dem Haus zu gehen und mit Menschen in der realen Welt zusammenzukommen. Da treffen die Gäste eine wichtige Entscheidung. Karin Ivancsics neuer Roman ist ein besonderes und eigenwilliges Buch, das mit einer schmalen Handlung ein Netz an Geschichten und Verzweigungen auslegt, Ausflüge zurück in eine Kindheit der Siebzigerjahre unternimmt, Totenkulte in verschiedenen Kulturen beschreibt und über die Kunst, das Leben und Sterben reflektiert. Es ist auch ein Buch über Freundschaft und über Wirklichkeit(en). Denn, so wie Karin Ivancsics am Anfang des Buches die Autorin Ilse Aichinger zitiert: „Alles, woran man glaubt, beginnt zu existieren“. - Patricia Brooks, Podium  April 19

Während andere lieber einen Bogen um ihn machen, umarmt die Autorin Karin Ivancsics auf pointierte Weise den Tod. Ihre „Gastgeberin“, die tagsüber einer weitgehend unaufgeregten Tätigkeit nachgeht, empfängt abends bei sich extravagante Runden aus Schriftstellern, Künstlern und Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg. Was diese Menschen eint: Sie sind Tote, die sich durch den ruppig-witzigen Erzählton der gebürtigen Südburgenländerin zum Leben erwecken lassen. - Viktoria Kery-Erdelyi, „Die Burgenländerin“/4/19


„Karin Ivancsics jüngstes Buch ist radikal. Sie zündelt darin, spricht Tabus an

und versteht es, Alltag und Jenseits auf eine Art zu verschränken,

die gleichermaßen Tiefgang und Provokation enthält.“ Petra Ganglbauer

AUFZEICHNUNGEN EINER BLUMENDIEBIN

Ein schmaler Band mit Prosafragmenten, aber ein gewichtiger Beitrag zu einer literarischen Floristik. Nahezu eine ganze Stadt verwandelt sich in ein phantastisch wucherndes Geflecht aus Pflanzen und Beziehungen. - Verlag


Karin Ivancsics ebenso atemloser wie vitaler Bewusstseinsstrom aus der Mitte der 1990er Jahre nimmt so vieles von dem vorweg, was uns heute auf das Nachdrücklichste heimsucht oder beschäftigt.

- aus dem Nachwort von Petra Ganglbauer

AUFZEICHNUNGEN EINER BLUMENDIEBIN, 

Neuauflage aus dem Jahr 1996.

82 S. 13,5x20,5. Hardcover.

€ 18,-   

Klever Verlag, 2021

ISBN 978-3-903110-68-7

STIMMEN aus den 1990er-JAHREN:


"Wild rose" - das könnte auch ein Deckname für jene literarisch-floristische Kleptomanin sein, die da zeitgemäß dismembriert berichtet. (...) In ihrer floralen Reise um den Tag in 80 Welten hat sich Karin Ivancsics kein Blatt vor den Mund genommen: Sie erzählt offenherzig von berührenden Erlebnissen in der Fremde, von intimen erotischen Begebenheiten und scheut auch die Abgründe des Trivialen nicht. Das alles ist in fragmentarischen Beschreibungen und Erklärungen, Fragen und Feststellungen, Aphorismen und Apercus montiert, die durch harte Schnitte getrennt und durch zwei wiederkehrende Leitmotive miteinander verbunden sind: Pflanzen und Beziehungen. (...) "Die Aufzeichnungen einer Blumendiebin" sind also das glatte Gegenteil eines "Heiteren Herbariums" à la Waggerl: eine höchst eigenwillige Textcollage in freiem Rhythmus, eine literarische Botanisiertrommel, die querbeet Eindrücke aus dem Leben gesammelt und zur Sprache gebracht hat.

Klaus Taschwer, Der Falter



Aus ist es mit dem Anything-goes der sich neigenden Neunziger. Geboten wird Erlebnis-Lesen ohne Sicherheitsabstand zum Buch. (...) Ihre "Aufzeichnungen einer Blumendiebin" mit frechen Früchten und Blüten zu garnieren hat Karin Ivancsics in der Karibik gelernt. Ihr aktuelles und sexuelles Crossover der Kulturen schließt das der Geschlechter mit ein. Und das der Arten und Ordnungen, wie wir es uns hatten träumen lassen. - Hatten Sie schon Sex mit einer Orchidee?

VOGUE


Aufzeichnungen zu einem Verbrechen sind üblicherweise Raritäten, die aus der Zelle geschmuggelt werden, oder Justizirrtümer, die jemand aus der juristischen Mannschaft im Zuge seiner Erkrankung an Alzheimer zum besten gibt. Karin Ivancsics nimmt das furchtbare Verbrecherleben einer Blumendiebin zum Anlass, der verbrecherischen Struktur unserer Gesellschaft auf den Grund zu gehen. (...) Die Klugheit dieses Buches liegt darin, dass durch die Beschreibung eines scheinbar stillgelegten Mikrokosmos mit subversiven Mitteln letztlich der Makrokosmos unserer Gesellschaft neu aufgezeichnet wird.

Helmuth Schönauer, Tiroler Nachrichten


Karin Ivancsics treibt ihr doppelbödiges Spiel mit der Sehnsucht nach einer heilen Welt, poetisch in Worte gefasst und doch sich selbst nicht immer ganz ermst nehmend. (...) Intertextualität und Interkulturalität sind die Markenzeichen der Autorin.

S. Selzer, Pester Loyd, Budapest


Von brisanter Gefühlsstärke, scharfer Präzision und Heutigkeit und zugleich anmutigster und hochphantastischer Poesie.

Andreas Okopenko


Cocktail mit einer Blumendiebin. Der Schmetterling ist heute so laut, die Amsel flucht – kann man Sex mit einer Orchidee haben? Dieser betrunken machende Poesie-Cocktail hat, gewissermaßen als kandierte Kirsche, eine Frau im Zentrum, die nachts im Park Sonnenblumen stiehlt und sie dann verschenkt. Bei Karin Ivancsics ist Lesen wie im Garten sitzen und staunen, vor allem (aber nicht nur) über die Natur. – Peter Pisa, Kurier, 20. 4. 2021

Flieder fladern. Es ist im Grunde einfach nicht einzusehen, dass ein Buch quasi ein einziges Mal erscheinen soll und dann entweder per kommerziellem Erfolg oder sofortiger Kanonisierung in der öffentlichen Wahrnehmung weiterleben darf – oder nach kurzer Zeit wieder in die Halbvergessenheit zurücksinkt. Viel zu viele KollegInnen wissen, was damit gemeint ist – ihre Neuerscheinungen fielen in die dummen Monate der Pandemie und damit aus dem Raster des Betriebes. Hängen bleibt nur das massiv Beworbene. Rezensiert wird nur das ganz Aktuelle. Verlegt wird nur das Erfolg Versprechende. Umso schöner, dass der verdienstvolle Klever Verlag in diesem Frühling eine Neuauflage besorgt: „Aufzeichnungen einer Blumendiebin“ ist erstmals 1996 im Ritter Verlag erschienen.

Ihrem Text ist sein Alter nicht anzumerken, es ist ein hervorragendes Exempel gegen den Aktualitätsfetischismus. Ihn gattungsmäßig einzuordnen ist zwar nicht leicht, aber auch nicht unbedingt nötig. Das Ignorieren von literarischen, geographischen, biologischen (Gattungs-)Grenzen ist ihm wesentlich. Die titelgebende Blumendiebin lädt zur Teilhabe an einem Bewusstseinsstrom, der mal Naturlyrik im neueren Sinn ist, mal Flashback einer Reise, mal pflanzlich-menschliche Erotik. „Brauche ich einen Punkt zur Definition, außerhalb meiner Selbst eine Position, da ich mir selbst genüge und mich selbst vergesse, im Verwachsen mit der Natur?“ Kindheitserinnerungen an beerdigte Mäuse (samt geschmettertem „Näher mein Gott zu dir“, wer kennt das nicht?), Hahnenkämpfe in Mexico, Straßenszenen in Bangkok oder irgendwo in Cuba – alles ist mit allem verbunden. Klaus Taschwer hat das damals im Falter sehr treffend eine „florale Reise um den Tag in 80 Welten“ genannt. Im aktuellen Nachwort erfreut sich Petra Ganglbauer zu recht an der „poetischen Fülle“ dieser Aufzeichnungen, und am beobachtenden Ich, das „alles hereinholt, was es mit seinen Sinnen zu erfassen imstande ist“. Und man kann tatsächlich lernen, wie der Diebstahl von Topfpflanzen am besten zu bewerkstelligen ist. Die vielleicht allerwichtigste Botschaft: „Wenn du etwas anderes tust als das, was dir Freude macht, machst du dich der Verweigerung schuldig“! - Dominika Meindl

https://www.gavoö.at/2021/05/was-schreiben-die-menschen-die-fur-uns_25.html

Ich bin ein Kind vom Land, am Wochenende stehle ich Sonnenblumen von Feldern und montags schenke ich sie den hungrigen Menschen in der Stadt, Männern mit hungrigen Augen und Frauen mit langen Bärten, es ist meine Passion, das Blumenstehlen, es ist mein kleinstes Laster und meine größte Freude, ich weiß, dass ich es nie aufgeben werde, ich bin süchtig danach; das wäre eine schöne Berufsbezeichnung: Blumendiebin.

Schon auf den ersten Seiten wird klar, dass Karin Ivancsics' erstmals 1996 erschienenes und nun wiederaufgelegtes Werk "Aufzeichnungen einer Blumendiebin" seinen Namen nicht zu Unrecht trägt – handelt es sich bei diesem schmalen Büchlein doch genau um das: die Sammlung verschiedenster Einträge und Notizen einer Frau, die sich offenbar vollkommen bewusst und mit großem Vergnügen des Diebstahls diverser Pflanzen schuldig macht. Wobei sie diesbezüglich ein ganz spezielles Beuteschema aufzuweisen scheint: "Grünpflanzen allein reichen mir nicht, ich brauche Buntes, vor allem Gelbes."

Bunt, das sind auch die Einträge selbst, deren inhaltliche und formale Bandbreite von der Beschreibung vermeintlich alltäglicher Begebenheiten und Begegnungen über Beobachtungen und Reflexionen bis hin zu Gesprächsfetzen, Liedern und (anderen) Zitaten reicht. Die überraschende, sich erst auf den zweiten Blick eröffnende und schwer zu definierende Anmut einer fetten Fliege ("So hässlich ist sie gar nicht, wenn man sie genau betrachtet, ihre Augen sind irgendwie schön") ist etwa ebenso Thema der Notizen wie in doppeltem Sinn komisches Obst ("Es gibt Zitronen, die bringen mich zum Lachen. Ganz einfach deswegen, weil sie nicht wie Zitronen aussehen") oder der unangenehme Eindruck, den ein Zoobesuch hinterlassen hat: "Am Nachmittag war ich im Tiergarten, konnte aber nicht lange bleiben, eine Affendame, die nur still in ihrer Ecke gesessen ist, mit monotonen, vor-und-rückwärts-wiegenden Bewegungen, gleich den jungen und alten Irren im Irrenhaus, hat mich traurig gemacht."

Das Spektrum der meist recht kurz gehaltenen Aufzeichnungen ist also groß, doch es gibt auch gewisse Ankerpunkte, die immer wiederkehren und so eine Art roten Faden bilden. Dazu gehören unter anderem, der Leidenschaft der Ich-Erzählerin gemäß, Schilderungen zu bestimmten Pflanzen und Blumen, Wissenswertes über deren Pflege und kulturelle Bedeutungen, aber auch Tipps, wie und wo man sie sich am besten widerrechtlich aneignen kann – und welche Möglichkeiten etwa die verlassenen Hausgänge von Altbauten in dieser Hinsicht bieten. Ein zweites sich wiederholendes Thema sind (vergangene) Liebschaften, wobei in den entsprechenden Aufzeichnungen, mehr noch als bei den übrigen, vieles nur angedeutet wird. So erfährt man etwa eher beiläufig, dass eine gescheiterte Beziehung (bzw. deren Scheitern an sich) offenbar tiefere Spuren bei der Ich-Erzählerin hinterlassen hat, als einer ihrer Freunde vermutet hätte, oder man liest über die Vorbereitungen zu einem von italienischen "Schmachtfetzen" begleiteten Abendessen, dessen Ausgang man lediglich erahnen kann.

Der Text lebt jedoch nicht nur von diesen Andeutungen und damit einhergehenden Leerstellen, sondern insbesondere auch von der (assoziativen) Gegenüberstellung profunder Erkenntnisse und Betrachtungen auf der einen und surrealen bis kindlichen (Tag-)Träumereien und Gedanken- wie Sprachspielen auf der anderen Seite. Nicht selten wechselt der Ton sogar innerhalb eines hakenschlagenden Satzes: "Das Herz ist ein dehnbarer Muskel, pflegte ich früher zu sagen, wie meine Strumpfhose, und Laufmaschen kann man stoppen mit grellem Nagellack, dieser Ansicht bin ich heute nicht mehr."

Trotz seiner nicht mal 80 Seiten ist "Aufzeichnungen einer Blumendiebin" überaus dicht, prallvoll, wenn man so will, geradezu überschäumend. Und wenn man nicht wüsste, dass der Text nunmehr bereits ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel hat, würde man es ihm nicht anmerken. Denn dieses faszinierende Sammelsurium hochpoetischer Beschreibungen, kluger Beobachtungen und origineller Einfälle wirkt an keiner Stelle veraltet oder verwelkt, im Gegenteil: Es lebt und strahlt, wie ein Strauß leuchtender Blumen.

Simon Leitner, Buchmagazin Wiener Literaturhaus, 14.06.2021

Wanda wartet titelt Karin Ivancsics lapidar in ihrer Neuerscheinung im Ritter Verlag. Es ist ein modulartig aufgebauter Roman, der sich facettenreich unterschiedlicher Erzähltechniken bedient, um immer auf den Punkt zu kommen. Auf einen schmerzhaften. Es geht um Abtreibung, um Verantwortung, um Einsamkeit und die minutiöse Beobachtung emotionaler Welten, die ihren Spiegel unter anderem im scheinbar ziellosen Treiben der Protagonistin durch eine Stadt - sagen wir, es wäre Wien - finden.         BUCHKULTUR 7/99

Edition Fröhliches Wohnzimmer


Das Naturschutzgebiet um den Neusiedler See ist Sommerquartier für Zugvögel ebenso wie Zufluchtsort gestresster Feriengäste. Flucht hat Menschen aus Afghanistan, Syrien und dem Iran über die Grenze bei Nickelsdorf durch das Erholungsgebiet getrieben. Und auch das Schicksal vieler Burgenländerinnen und Burgenländer ist von Bewegung bestimmt, vom Pendeln. In "Zugvögel sind wir" erzählt Karin Ivancsics von der Lust am Reisen und dem Müssen von Flucht, reflektiert über Klimawandel und seine Auswirkungen auf den Tourismus. In poetischen Bildern und beklemmenden Visionen schreibt die Autorin über die Angst vor unserer eigenen Unbehaustheit. (…)

- Michaela Frühstück, ORF Radio Burgenland



Nun also Federvieh, oder wie? Nachdem Karin Ivancsics vor nicht allzu langer Zeit im Rahmen der Neuauflage ihrer "Aufzeichnungen einer Blumendiebin" gewissermaßen mit einem floralen Fokus von sich reden machte, wendet sie sich mit "Zugvögel sind wir" der Fauna zu. Könnte man zumindest annehmen, aber ähnlich wie sein Vorgänger über die passionierte Blütenfladerin enthält auch der neue Band der burgenländischen Autorin weit mehr, als der Titel und die geringe Seitenanzahl vielleicht auf den ersten Blick vermuten ließen. "Zugvögel sind wir" ist eine Sammlung von insgesamt 15 Texten, die sich irgendwo im Spannungsfeld zwischen kürzeren Fragmenten und längeren Notizen, philosophischen Erörterungen und politischen Pamphleten, kleineren Skizzen und ausgewachsen(er)en Erzählungen bewegen. (…) Ungeachtet des Spektrums an unterschiedlichen Stoffen und Sujets lassen sich jedoch gewisse rote Fäden ausmachen. Dazu zählen unter anderem Reisen im weitesten Sinn, erzwungene Migration ebenso wie freiwilliger Urlaub – wobei ersteres wesentlich mehr Raum einnimmt als letzteres. Nicht selten werden diese beiden Aspekte gegenübergestellt, wie etwa in "Aus der Ferne": Zur selben Zeit, in der die Ich-Erzählerin in Übersee weilt, sind Tausende Flüchtende auf den Straßen ihrer Heimat unterwegs. In "Sich drehen wie ein Derwisch" wiederum werden während eines Aufenthalts auf der Insel Sansibar Gespräche mit der längst verstorbenen arabischen Prinzessin Sayyida Salme imaginiert, die der Liebe zu einem deutschen Kaufmann wegen ihre eigene Heimat verließ und fortan als Emily Ruete in der Heimat ihres Mannes lebte. Dass dem Thema Migration und Flucht eine solch prominente Rolle zukommt, hat nicht allein mit der Tatsache zu tun, dass es in unserer Gesellschaft in den letzten Jahren noch einmal verstärkt an Bedeutung gewonnen hat. Nein, es handle sich dabei auch, so Ivancsics in der Nachbemerkung, um einen Teil ihrer "Familienbiografie". Dementsprechend werden nicht zuletzt Fragen nach dem Zusammenhang zwischen Heimat, Zugehörigkeit und Identität diskutiert. (…)

Ein zweiter prominenter Strang ist die Situation von Frauen, mit der sich die Autorin ebenfalls seit Erscheinen ihres ersten Buches 1989 kontinuierlich auseinandersetze. Mit am eindrücklichsten gelingt dies in "Auf ein Wort", einem von mehreren sogenannten Monologen im Band, in dem ein Sprecher gegenüber einer Adressatin mit gleichermaßen zweifelhaften wie entlarvenden Scheinargumenten einen nicht näher definierten Vorfall herunterzuspielen versucht. (…) In Texten wie diesem zeigt sich Ivancsics' ganzes Können: Sie ist eine Meisterin der kleinen Form, eine überaus genaue Beobachterin, die ein Gespür für Details, aber gleichzeitig die Fähigkeit besitzt, zum jeweiligen Kern der Dinge vorzudringen und diesen mit wenigen Worten in meist nur kurzen Szenen zu umreißen. Und das Ergebnis ist immer ein Destillat, das mit vielen verschiedenen Geschmacksnoten aufwartet, die es als Leser:in zu entdecken gilt. Oder, um es mit Katharina Tiwald, deren Nachwort sich am Ende des Bandes findet, zu sagen: Ivancsics "verpackt das Gehörte in Monologe, die in ihrer Genauigkeit und Zielgerichtetheit alles sind: säuberlich Dokumentiertes, aus Schnipseln Verdichtetes, Abbild unserer Zeit – und Anklageschrift, Letzteres verschleiert und deutlich zugleich." In diesem Zitat klingt auch jener Punkt an, in dem sich "Zugvögel sind wir" vermutlich am deutlichsten von "Aufzeichnungen einer Blumendiebin" unterscheidet: und zwar in der Direktheit, mit der bestimmte Probleme hier verhandelt werden. War der Blick der Blumendiebin noch vornehmlich ein nach innen gerichteter, geht es nun mehr um den Blick nach außen, auf die Welt und alles, was diese in den vergangenen Jahren bewegt oder, wie im Falle der Coronapandemie, zum kurzzeitigen Stillstand gebracht hat. Insofern ist "Zugvögel sind wir" weniger poetisch als politisch, doch der leichte, luftige, mitunter verspielte Ton, der "Aufzeichnungen einer Blumendiebin" so lesenswert macht, ist auch in Ivancsics' neuem Band anzutreffen – und auch hier wieder ein absoluter Pluspunkt.

  1. -BUCHMAGAZIN Wiener Literaturhaus - Rezension von: Simon Leitner, 20. 12. 2022



Wanderungen, und zwar überall - Karin Ivancsics ist ein Zugvogel, egal, ob es sie auf die bunte Insel Curaçao zieht oder zum öden Praterstern in Wien verschlägt. Wir sind alle Zugvögel, aber nicht alle können mit so viel Herz (und sehr bestimmt) über Heimat und Migration schreiben wie die Burgenländerin, deren Großmutter nach Amerika auswanderte (…)  - Peter Pisa, Kurier 26/11/22



Wege über Grenzen - Karin Ivancsics schreibt von Vögeln, die über Landesgrenzen fliegen und von Menschen, die über diese Grenzen fliehen, über Reisen nach Sansibar und Tansania, wo sie den Spuren des österreichischen Konsuls Oskar Baumann und der nach Deutschland geflohenen Prinzessin Sayida Salme folgt, aber auch über die Migrationsskepsis in der österreichischen Bevölkerung. In ihren Texten verbindet Ivancsics persönliche Erfahrungen über Heimat und Fremde mit kulturanalytischen und historischen Betrachtungen und gibt allen Personen eine Stimme. (…) - Kaspar Arens, Ö1, LEPORELLO, 20/12/22

ZUGVÖGEL SIND WIR

ZUGVÖGEL SIND WIR

Verschiedene Prosa.

Coverbild: Willy Puchner. Nachwort: Katharina Tiwald.

120 Seiten, € 19,80

Verlag Lex Liszt 12, 2022

ISBN 978-3-99016-232-3

„Verschiedene Prosa“ wählte Karin Ivancsics als Gattungsbezeichnung für ihren jüngsten Band „Zugvögel sind wir“. Er enthält 15 Texte, von denen mehrere bereits in Literaturzeitschriften, Anthologien und im Rundfunk publiziert wurden, einige sind hier erstveröffentlicht. Anders als der Titel vielleicht vermuten lässt, geht es nicht um ornithologische Betrachtungen und Erkenntnisse der Vogelkunde, wie es die Nähe der Autorin zu jenen Naturschutzgebieten am Neusiedler See nahelegen könnte, die im Sommer Quartier für weitgereiste Zugvögel werden. Sondern es geht um eine Passion, nämlich die Lust am Reisen, aber auch ums Pendeln sowie das Muss von Migration und Flucht.

Ivancsics begreift sich selbst als eine Zugvögelin, die sich in die Fremde und nach dem Fremden sehnt. „Ich bin eine Pendlerin mit angeborenem Wandergen“, heißt es etwa in der titelgebenden Erzählung. Von ihrem Wohnsitz in Wien fliegt sie ins Sommeridyll im Burgenland und flattert weiter hinaus in die Fremde, um andere Welten kennenzulernen und mit einem Schatz an Erfahrungen wiederzukehren. Sansibar ist solch ein ferner Sehnsuchtsort oder Curaçao, eine der „Inseln unter dem Winde“, die nördlich von Venezuela liegt und Teil der Niederländischen Antillen ist. Manchmal liegt die Fremde auch ganz nah, etwa bei der Begegnung mit organisierter Bettelei in der Praterstraße in Wien. Ihre vielfältigen Erfahrungen beim Unterwegssein verwandelt Ivancsics in Literatur und legt nun wenige Seiten kurze heterogene Texte vor, die durch thematische Fäden eng verbunden sind. Mal erzählend, mal überlegend oder betrachtend stellt die Autorin aktuelle Diskussionen über Heimat und Fremde, Distanz und Nähe, Nationalismen sowie Flucht, Vertreibung und Migration ins Zentrum. Sensibel spürt sie Unsicherheiten und Ängsten nach, zeigt das Ringen ihrer Protagonist*innen um Würde. Und sie hinterfragt Verhältnisse, verdichtet manchmal nüchtern, manchmal karikierend die Voreingenommenheit enger Blickwinkel der sogenannten Ersten Welt, die sie gut kennt. „Migration gehört zu meiner Familienbiografie“, offenbart die Autorin in ihren Nachbemerkungen. Geprägt u.a. vom Aufwachsen im Dreiländereck, von ihrer Kindheit am Eisernen Vorhang und zahlreichen Reiseerfahrungen weiß Ivancsics um die Bedeutung von Grenzen zwischen Ländern, Sprachen und Menschen. Leidenschaftlich plädiert sie für ein Hinterfragen und Überschreiten dieser Grenzen.

Stellvertretend seien zwei Texte herausgegriffen, die exemplarisch Enge und Weite thematisieren und durch ihre Vielschichtigkeit beeindrucken. In „Sich drehen wie ein Derwisch“ begibt sich ein Ich, das wohl mit der Autorin weitgehend identisch ist, in einen Dialog mit Prinzessin Salme. Ausgangspunkt ist ein Aufenthalt in Sansibar, bei dem sich die Erzählerin auf die Spuren dieser 1844 geborenen arabischen Prinzessin begibt. Die Liebe führte sie einst ins wilhelminische Deutschland, weshalb sie von ihrer Familie verstoßen wurde. Jung Witwe blieb sie mit ihren drei Kindern in Deutschland, thematisierte in Essays ihre Zerrissenheit im Zwischen zweier Kulturen und ihre Sehnsucht nach Sansibar. Ivancsics entwickelt ein Gespräch über knapp zwei Jahrhunderte hinweg, in dessen Zentrum Schlagworte wie Genügsamkeit, Faulheit und Müßiggang stehen, die im sogenannten Norden und Süden unterschiedlich gewertet werden. In „Wer da fliegen kann, nimmt Flügel“ wiederum erzählt die Autorin von einer fiktiven Reise mit Joseph von Eichendorffs Anti-Helden Taugenichts durch das Burgenland und verwebt diese so kunstvoll wie stimmig mit Episoden aus dem Leben Eichendorffs sowie Auszügen aus dessen Texten. Wir wiederum sind eingeladen, Teil dieser Reisen zu werden, uns lesend auf buntere Welten einzulassen und für ein paar Stunden in sie einzutauchen.

- Monika Vasik, PODIUM-Heft 207/208, Mai 2023


Karin Ivancsics´ Schreiben ist ein Teilnehmen an der Welt, das bei weitem nicht allen gelingt, die ebenfalls in diesem Metier tätig sind; es bildet hartnäckig und gleichzeitig mit Federleichtigkeit eine fortlaufende Chronik unserer Zeit, die, wie wir nur allzu gut wissen, keineswegs auf einen Moment der Aufklärung zusteuert, in dem „alles gut“ wird. Und somit ist ihr Schreiben das: eine Poesie, und kommt sie auch in Prosa daher, eine feine, melancholische, schmerzhafte Poesie. Zoten und Zeichen. Denn trotz der Zartheit, der – nur vermeintlichen – Langsamkeit, die „im Kot Buchstaben und Zeichen“ findet, bricht sich manchmal die Wut über massive Ungerechtigkeiten Bahn, entlädt sich in einem herzhaften, gerechten Schimpfwort, wenn nicht gar einer lustvollen Kette, die sich ihres eigenen schrägen Gedichtseins bewusst ist. Das stört aber keineswegs den freundlichen Fluss dieser Texte, unterstreicht höchstens den Gerechtigkeitssinn, der sie alle durchwirkt.

Da scheint eine mit Vögeln zu sprechen, „in Achtern, Spiralen und Ellipsen“; da geht eine nur mit Blick auf Blumen durch die Stadt; da hat eine die Ohren heimlich weit aufgespannt, schau, sie hat sich verkleidet, das sagt sie ja selbst, sie hat die Füße, die gerade noch durch Sand gegangen sind, in „ausgelatschte Sneakers“ gesteckt, um beim Einkaufen, zurück im hohen Norden, nicht aufzufallen. Aber sie ist da. Sie hört zu. (…)

Ich schlucke, während ich in einem der Monologe die Dame sprechen höre, die zufrieden über ein Hemd „Made in Italy“ streift und dennoch weiß, wie und wo das Kleidernähen stattfindet auf dieser Welt; ich freue mich am Tonfall, der die Corona-Marschierer(innen) entlarvt, leichtfüßig und maliziös zugleich: „Der Willi hat was Gescheites gesagt, nämlich: Das tägliche Nachdenken beantwortet unsere Fragen nicht, und das tägliche Sprechen darüber schenkt uns kein Lösungswort. Er meditiert viel, weißt du, das tut ihm gut.“ Und gleichzeitig ist diese Entlarvung eine, von der ich annehme, dass selbst die Entlarvten, ließen sie sich denn auf die Lektüre dieser Texte ein, nicht lange böse wären. Denn es gibt wenige, die mit einer solchen Warmherzigkeit schreiben, einer solchen Weltverbundenheit, die mit leiser Beharrlichkeit den Punkt sucht, wo Schönheit und Schmerz einander begegnen: „Die Seelen sind mit der Welt verbunden, sie gehen ihr ins Netz.“

Karin ist weit gereist, sehr weit; was sie beiläufig berichtet, verrät, dass sie sich nicht einordnet in die Reisewelt der „mzungus“, die „rotgesichtigen Touristen“, die sie schreibend versteckt unter Menschen, die „Tschador und Burka“ tragen, „Turbane, Kapuzen und Mützen“ oder „gemusterte kangas“. Gleichzeitig überkompensiert sie nicht, folgt vielmehr den Spuren, die die Täter der kolonialen Vergangenheit Afrikas geschlagen haben – seien sie nun hell- oder dunkelhäutig, denn neben Männern wie Oskar Baumann, österreichischer Afrikaforscher im 19. Jahrhundert, gab es nun eben auch solche wie Tippu-Tip, „prominentes Beispiel eines Afrikaners, der grausamen Handel mit den eigenen Leuten trieb“. Es mag jeder selbst lesend miterleben, wie Karin Ivancsics Oskar Baumann lesend begegnet und mitverfolgt, wie er die Geschehnisse im Nachbarhaus belauscht und dokumentiert – das ist eine kluge Verschiebung des ethnografischen Blicks, die eigene Rolle als Fremde mitdenkend; vollends wunderbar wird dieser dialogische Zugang zu Karins großem Thema Afrika im Fall von Sayyida Salme, die im 19. Jahrhundert einem Deutschen aus Sansibar ins Wilhelminische Reich folgte.

Überhaupt sind es die Frauen, denen in diesen Texten großer Platz eingeräumt wird, es sind die Frauen, die in diesen Texten so vielschichtig gezeigt werden, wie es der Theorie von der „Intersektionalität“ – also: das Treffen von vielen Ungerechtigkeiten auf der Projektionsfläche „Schwarzer Frauenkörper“ – selten gelingt. Es sind eingängige, behutsame Portraits, in denen die eigene Betrachterinnenrolle stets miterzählt wird, die gleichzeitig die Portraitierte als Subjekt belassen, nie zum Objekt degradieren. (…)

- Aus dem Nachwort von Katharina Tiwald